Friday, December 08, 2006

Was wäre wenn...Gedanken zur Abschiebung der Familie Thadchannamoorthy

Zukunft – dieses Wort hat etwas Weites, etwas Offenes. Wenn ich das Wort „Zukunft“ mit meinen Lippen forme, eröffnet sich mir eine gewisse Grenzenlosigkeit. Doch was passiert, wenn ich das Wort „Zukunft“ in Gedanken wie eine Schablone auf fünf Menschen zuschneide, die momentan fast meinen gesamten Lebensinhalt darstellen, meine Gedanken, mein Handeln – von morgens bis abends? Die eben noch geträumten Farben, die Bilder von vielfältigen Lebensentwürfen, sie werden grau, dann schwarz. Eine Frage ist im Fall Thadchanamoorthy entscheidend, denn sie stellt sich beim Wort „Abschiebung“ im Allgemeinen, sie umkreist die Schicksale von Menschen, wie sie im Normalfall eintreten:
Was passiert, wenn ich die Zukunftsschablone auf Familie Thadchanamoorthy lege und die Schwestern vom Guten Hirten und mich ausradiere? Ich versuche diesen Regelfall mal zu konstruieren, symbolisch für sehr viele Abschiebungsopfer, die unser „sauberes“ Deutschland auf dem Gewissen hat…Die Gedanken sind nach unserem Grundgesetz noch frei, deswegen darf ich dies sagen.
Mit 10.000 Rupees in der Tasche am Flughafen in Sri Lanka angekommen – ohne Kleidung, ohne Medikamente, ohne lebenswichtige Impfungen, ohne die hier notwendigen Papiere. Bemerkt werden muss noch, dass der Flughafen 32 Kilometer von Colombo entfernt liegt. Alle Familienmitglieder sind ausgelaugt, von den tagelangen Strapazen, der gewaltsamen Trennung der Familie, die Kinder haben Angst, sie wissen nicht wie ihnen geschieht. „Warum?“, die Frage in den Köpfen aller. Eine entfernte Verwandte erfährt von der plötzlichen Abschiebung, die Angehörigen in Deutschland haben sie verständigt. In Sri Lanka hat Familie Thadchanamoorthy niemanden mehr, alle leben verstreut in europäischen Ländern oder wurden massakriert. Der Sohn der alten Dame holt die fünf verstörten Menschen vom Flughafen ab und bringt sie nach Kotahena in einen Bungalow. Die ältere Dame und ihr Sohn werden schon bald in ein europäisches Land aufbrechen, in dem sie ein neues Leben beginnen werden. Sie haben das Ausreisevisum in der Tasche. Ein Leben erwartet sie also, vielleicht so, wie Familie Thadchanamoorthy es noch vor wenigen Stunden in Deutschland hatte. Nachdem der junge Mann mit seinem Auto weggefahren ist, ist die Familie Kiddinan/Thadchanamoorthy allein, völlig allein, sich selbst überlassen. Angekommen im Bungalow. Es ist stickig, heiß, es stinkt bestialisch – von den siffigen Toiletten zieht der Gestank durch die Zimmer, in denen Menschen über Menschen zusammengepfercht hausen. Viele sind krank. Schwere, grippale Infekte, Windpocken, ein einziger Herd von Erregern - die junge Abineaja hatte noch keine Windpocken. 300 Rupees am Tag für die Miete, 75 Rupees für ein schlechtes Essen pro Person. Auch gegen Typhus besteht keine Immunisierung. Auf Grund der Hitze ist das Essen schnell verderblich, mit den Zutaten muss höchst vorsichtig umgegangen werden, sonst bleiben schwere Infekte nicht aus. 675 Rupees muss Familie Thadchanamoorthy pro Tag zahlen, nur für das Nötigste. Dazu kommt der Kauf von Kleidung, sie haben ja nichts bei sich. Eine Bluse für Menaka: 200 Rupees, ein Rock: 300 Rupees, eine Hose für ihren Mann Kiddinan: 600 Rupees, ein Hemd: 300 Rupees, ein T-Shirt für Apisan: 200 Rupees, eine Hose noch mal 200 Rupees, ein Kleid für Apirami: 300 Rupees, ein Kleid für Abineaja: 200 Rupees = 2300 Rupees . Mit dem Geld werden sie nicht einmal 2 Wochen auskommen - und dann? Ich möchte jetzt einmal ein gedankliches Spiel machen, denn auch das ist nicht verboten. Jeder Leser kann sich dann selbst ein Bild machen.

Fall 1:
Ab auf die Straße. Und dann? – Sind diese fünf Menschen ohne gültige ID den Wellen des Krieges ausgeliefert, die derzeit in alle Richtungen ausschlagen. Für die tamilische Minderheit ist die Gefahr unermesslich und unberechenbar. Ob Regierung oder LTTE, von allen Seiten wird ihnen die Hölle heiß gemacht. Vergeltung auf der einen Seite, Entführungen von Kindern, um sie als Soldaten zu missbrauchen, Erpressungen und Hinrichtungen auf der andren Seite. Wer hier welches Verbrechen begeht, kann mittlerweile nicht mehr auseinandergehalten werden. Ich denke, dass es auch für die Regierung schwer ist Täter überhaupt festzustellen. Gewalt verschwimmt, Gewalt überschwemmt Sri Lanka mit blutroten Fluten. In den Herzen der Familienmitglieder herrscht brutale Angst. Angst vor Vergeltungsanschlägen, vor dem Hass gegen Tamilen, der die ethnische Säuberung in Sri Lanka vorantreibt und gerade im Moment die Selbstjustiz in unbeherrschbarem Maße überschwappen lässt – Entführungen, Tötungen, Hinrichtungen. Kinder werden als Soldaten missbraucht, weiße Bullis fahren umher, geisterhaft tauchen sie auf. Menschen werden plötzlich hineingezerrt, ohne Nummernschilder brausen sie davon, ins Nirgendwo. Menschen werden zerstückelt, abgeschlachtet. Nach Tagen oder Wochen findet man plötzlich tote Körper – dies ist Freunden der Familie Thadchanamoorthy schon geschehen. Dies könnte auch ihr Schicksal sein: Die fünf Warendorfer werden irgendwo aufgefunden, tot, abgeschlachtet, verstümmelt – wie Vieh. Ende Fall 1.

Fall 2: Auch die Polizei ist hier nicht „der Freund und Helfer“, Korruption ist das Zauberwort. Kontrolltrupps dringen in Häuser ein, kontrollieren die Menschen bis aufs Blut. Dann werden Fragen gestellt, Misstrauen wächst und wächst und wächst und plötzlich hat Familie Thadchanamoorthy in den Augen der Polizeibeamten etwas mit der LTTE zu tun, das geht schnell. Und dann? Sie werden verhaftet. Und dann? Sie werden abgeknallt. – Die Polizei tötet hier auch schon mal, die Schwestern wissen Geschichten davon zu berichten. Angst herrscht auf beiden Seiten, bei den Tamilen und bei den Singhalesen und bestimmt das Handeln.
Ende Fall 2

Fall 3: Was wäre, wenn Familie Thadchanamoorthy es trotzdem schaffen würde? „Schaffen“, könnte dann so aussehen: Eine Bude aus Brettern in einem der Armenviertel in Colombos Vorstädten. Wenn der Monsun kommt überschwemmt er die Häuser, in so vielen Gebieten sind den starken Regenfällen der letzten Wochen Menschen zum Opfer gefallen, ob mit ihrem Leben, oder ihre Behausungen wurden zerstört. Dann grassieren die Krankheiten wie Dengue Fieber, unzureichende sanitäre Anlagen infizieren die Kinder mit Krankheiten wie Typhus – ihr Immunsystem ist so einem Leben nicht gewachsen. Leben unter der Armutsgrenze. Ende Fall 3.

Doch viel wahrscheinlicher sind die Fälle 1 und 2: der Tod. Familie Thadchanamoorthy würde früher oder später in die Mühlen des Krieges geraten und die Warendorfer würden ihr Leben in dem Land lassen, vor dem sie einst Schutz in unseren Breiten suchten. Zukunft ist also nicht in jedem Fall offen und weit. Der Fall Thadchanamoorthy wäre schnell beendet und das „wäre“ kann schnell zum „ist“ werden. Diese Fiktion kann in diesen Tagen schnell zur bitteren Realität werden. Zukunft ist für viele Menschen verdammt kurz, die abgeschoben werden, da bin ich mir 100%ig sicher. Abschiebungen vernichten Existenzen, dafür steht der Fall Thadchanamoorthy in höchstem Maße auch symbolisch
.
Jetzt kommen mir folgende Gedanken und die sind ja bekanntlich frei, denn seine Meinung zu äußern ist zum Glück in Deutschland noch nach dem Grundgesetz erlaubt: Das Fazit meiner „Was wäre wenn…“ Geschichte: Die Verantwortlichen von Bund, Ländern und Kreisverwaltung von Mitverantwortlichen hätten die Familie in den Tod getrieben, in den faktischen oder seelischen, so kann ich aus meinen Erfahrungen vor Ort schließen.

Meine Eltern haben mich immer gelehrt, dass es sehr wichtig ist, eigene Fehler zuzugeben. Dass dies die eigentliche menschliche Größe ist. Es ist nicht einfach, ich kenne dies von mir selbst. Aber trotzdem bitte ich eindringlich:
Holt diese Familie zurück.
Sorgt in Deutschland dafür, dass keine tamilischen Menschen mehr abgeschoben werden. Sorgt dafür, dass die Familie zurückgeholt wird.
Ich versichere: Es stimmt nicht, dass man sich mit dem Einreisevisum hier einfach anmelden kann. Ich habe selbst erlebt, dass man Herrn Thadchanamoorthy gesagt hat, dass nur Tamilen aus Deutschland abgeschoben werden, die bei der LTTE mitgemacht haben. Das war aber bei ihm nicht der Fall. Wären die Schwestern und ich nicht gewesen, dann ...? Doch ein Aufenthalt ohne gültige Papiere ist hier nicht möglich. Herr Kiddinan Thadchanamoorthy ist ohne gültige Papiere ausgewiesen worden. Dies kann ich bezeugen. Auch andere Papiere fehlten. Die Kinder sind krank. Ihnen fehlen notwendige Impfungen. Ich selbst will Sozialarbeiterin werden. Schon mir als Studentin ist klar, dass die Kinder vor der Ausweisung medizinische Betreuung benötigt hätten. Warum ist der zuständige Sozialarbeiter dieser Verpflichtung nicht nachgekommen? Er hat den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder entzogen, indem er sie in einer Pflegefamilie untergebracht hat. Ist durch die Kreisverwaltung das Handeln des Sozialarbeiters überprüft worden? Frau Thadchanamoorthy ist schon krank hier angekommen. Sie ist immer noch krank, der Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Ich frage die Kreisverwaltung: Was für ein Arzt untersucht die Familien vor der Abschiebung? Warum zählten nicht die Arztgutachten der Ärzte, die Frau Thadchanamoothy schon länger medizinisch betreut haben? Ich habe gehört, dieser Arzt, (kann man ihn Abschiebearzt nennen?) auch viele andere Untersuchungen im Kreis Warendorf macht. Ist es so, dass auch bei anderen Flüchtlingen vorherige Arztgutachten nicht mehr zählen? Dies habe ich von Mitstreitern aus Deutschland gehört. Falls es so ist, denke ich, dass die Deutsche Ärztekammer hier Überprüfungen einleiten sollte und die Mitglieder des Kreistages bitte ich hier Untersuchungen einzuleiten.

Nina Wiengarten



Apisan ist völlig von Moskitos zerstochen. Er leidet sehr.




Frau Thadchanamoorthy ist schon krank angekommen. Sie ist völlig zerbrochen und schläft überall ein.


1 comment:

Anonymous said...

hi nina,

ich hoffe dir geht es gut, wann kommst du denn wieder? Freu mich scon auf die bilder und zahlreichen eindrücke.

mach dir noch eine schöne zeit.

liebe grüße
melanie