Sunday, December 03, 2006

Sehnsucht..

Sehnsucht…

nach Ruhe, unbeschwerten Momenten, innerer Gelassenheit, dem Bewusstsein für den Sinn des Aufenthaltes hier...
Schon lange habe ich mich nicht mehr persönlich bei euch gemeldet. Das, was ihr von mir gehört habt, war in letzter Zeit wahrlich nicht viel, aber in Form meiner Berichte über die Warendorfer Abschiebung wart ihr immer live dabei in meinem Lebensalltag hier. Dieser Lebensalltag dreht sich bis heute fast ausschließlich um die Unterstützung der Opfer unserer Abschiebepolitik. Das Schicksal dieser Familie deckt den Bereich der „Flüchtlingshilfe“, sprich einer großen Säule der Sozialen Arbeit geradezu perfekt ab. Ich bin hier mitten in der Praxis – den theoretischen Part erfahre ich in meinem Feldseminar bei der Gemeinnützigen Gesellschaft für Asyl Suchende (GGUA) in Münster, wenn ich zurück nach Deutschland komme und der Unialltag anbricht.

Doch das alles stimmt mich keinesfalls zuversichtlich oder glücklich. Ich bin alles relativ satt, so verdammt satt. Ich bin innerlich müde, ausgedörrt. Im Moment gibt es nicht viel Schönes über abenteuerliche Entdeckungen der Landeskultur zu berichten – die anfänglich bunte Aufregung hat sich in der Rubrik „Arbeit“ mittlerweile in ein nüchternes und erschreckendes Alltagsbild verwandelt. Die Landessituation spitzt sich zu, das neuste Bombenattentat in der Einkaufsmeile Colombos spricht für die Brisanz und die Eskalation der Gewalt. Im Rahmen meiner Arbeit mit der Familie habe ich schon so häufig die Ressentiments und den erniedrigenden Umgang gegenüber tamilischen Mitbürgern erfahren. Tamilen = LTTE, so läuft das hier im Moment. Ohne die Bürgschaft der Ordensschwestern wäre Familie Thadchanamoorthy des Öfteren bedrohlichen, wenn nicht sogar lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt gewesen, die unsere Politiker zu verantworten haben. Ich möchte am liebsten alles herausschreien, was sich in mir angestaut hat – all diese Wut und die Betroffenheit, die mich lähmen.
Die Betroffenheit über die zerstörerische Kraft des Hasses, der hier in Sri Lanka um sich greift, die Betroffenheit über die rücksichtslose Abschiebepraxis unseres Kreises unter der Leitung von Landrat Dr. Gericke. Er sollte sich gründlich vor Augen halten, was hier im Moment los ist, wie gefährlich es gerade für Tamilen ist, wie diese Familie hier leidet, unter Krankheiten und dem zerstörerischen Misstrauen der eigenen Mitmenschen. Es ist unerträglich, es zerdrückt mich fast. Ich spüre nichts vom Advent, nichts von dem inneren Weg zur Geburt Jesu. Ich spüre oft lähmende Verzweiflung, in der ich in meinem Strudel aus Gedanken gefangen bin. „Reisen bis zum 31. Dezember abgesagt“, thront eine Überschrift auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes. So weit ist es also gekommen. Die Lage in Sri Lanka wird offiziell als so bedenklich eingestuft, dass von Reisen hierher abgeraten wird und Buchungen storniert werden können. Ich bin gefangen im goldenen Käfig. Mein einziger Lebensinhalt besteht im Moment darin, fünf Menschen einen kleinen Funken Hoffnung zu schenken, ihnen zu helfen in diesem Land nicht völlig unterzugehen – das raubt mir auf Dauer auch meine Kraft. Ich bin kein Roboter, der unendliche Energiereserven aufbringen kann. Am letzen Wochenende habe ich mir seit Langem eine Auszeit gegönnt. Schwimmen, Relaxen, Sonne tanken – es war Balsam für die Seele. Doch spüre ich, dass ich oft so ausgebrannt bin, dass dieser eine Tag bei Weitem nicht ausreichend Kraft spenden konnte. Auch die Aussicht auf Kultur und Reisen rinnt wie Sand durch meine Finger. Auf Grund der gefährlichen Landessituation kann ich diesen Teil meines Sri Lanka Aufenthalts wahrscheinlich an den Nagel hängen – aus der Traum. Der Hoffnungstropfen auf dem heißen Stein ist im Moment meine Anleiterin Schwester Niluka. Mit ihr kann ich lachen, der Kontakt zu ihr lenkt mich ein wenig von meinem inneren Stress ab, das tut gut und ich weiß jetzt schon, dass ich sie unheimlich vermissen werde, wenn ich im Flieger nach Deutschland sitze. Es gibt also doch etwas, an dem mein Herz hängt – die Gemeinschaft mit den Schwestern. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich im Kreise eines Ordens so wohl fühlen könnte, so sicher und herzlich aufgenommen. Viele dieser „Damen“ habe ich wahrlich in mein Herz geschlossen.

Es tut mir leid, dass ich euch in meinem ersten persönlichen Tagebucheintrag nach langer Zeit keine Topstory über ein Paradies liefern kann, ich kann euch die Realität nur durch meine Augen sehen lassen.

Als nächstes werde ich einen Bericht über ein Handarbeitsprojekt in den Blog stellen, das ich vor der Abschiebung mit den Schwestern des Rehabilitationszentrums, meiner eigentlichen Hauptarbeitsstelle, auf den Weg gebracht habe. Im Dezember werden wir dem Programm, im Rahmen eines weiteren Projektmeetings, noch mehr Struktur verleihen. Ich denke, damit erhält mein momentanes, tristes Alltagsbild im Endeffekt doch noch einen leuchtenden Farbtupfer.

In diesem Sinne hoffe ich auch von euch mal wieder den ein oder anderen „Farbtupfer“ in Kommentarform in mein Leben gemalt zu bekommen.

Love and Peace
Nina

2 comments:

Anonymous said...

hey Ninschen,
tut mir echt leid dass es du so im Streß bist und auch dass was mit der Familie passiert finde ich echt schlimm und ich kann sehr gut verstehen das man da mal seine ganze Wut auf die Ungerechtigkeit dieser Welt rausschreien muß. Ich hab mich länger nicht gemeldet weil ich grade, wegen meinem Diplom, ziemlichen viel zu tun habe.
Ich hoffe und bete dass die Familie wieder nach Deutschland darf. Ich wünsch dir ganz viel Kraft für die nächste Zeit.
hab dich lieb
Sandra

Knud Vöcking said...

Hallo Nina,
wir kennen uns nicht persönlich. Ich komme aus Warendorf und habe mitbekommen, was du für die Familie T. alles gemacht hast. Ich finde es toll und spreche dir meine Hochachtung aus. In meinem Job bei 'urgewald' in Sassenberg bin ich auch täglich mit dem konfrontiert, was Politik und Wirtschaft mit Menschen im Süden anrichten. Deinen Frust und deine Wut kann ich gut verstehen. Kopf hoch, Knud